Was Postcard to Daddy von ähnlichen Dokumentationen grundlegend unterscheidet, ist seine Ehrlichkeit. Wo andere Filme aufhören zu erzählen oder nur noch kryptisch Bericht erstatten, sieht Stock (der Erzähler, das männliche Opfer) dem Geschehen ins Auge und berichtet davon.
Mit so viel Direktheit muss der Zuschauer erst lernen umzugehen, denn die Wahrheit macht unbehaglich. Das Aufrollen der vielen kleinen abartigen und zerstörerischen Details hat aber hier nicht den Zweck zur Schau gestellt zu werden. Es geht nicht darum zu zeigen, wie sehr man doch gelitten hat. Sondern es geht um einen Weg raus aus der Opferrolle. In ihren Gesprächen beginnt die Familie sich der Vergangenheit zu stellen und der Frage wie sie mit der Schuld und der Scham leben kann. Es zeigt sich aber auch mehr als deutlich wie sehr solch ein Missbrauch einen Menschen beschädigt. Detailgetreu analysiert Stock nicht nur seine Kindheit, sondern auch sein Leben als Erwachsener, das in jeder einzelnen Phase geprägt war von seinen Missbrauchserfahrungen.
Es ist manchmal schwer zu ertragen, diesen Gesprächen zuzuhören. Stocks Lebensgeschichte und seine Art sie zu erzählen, nimmt das Publikum so stark mit, dass es schwer ist diesen Film auszuhalten. Doch genau so muss es sein, denn weggeschaut wird bei diesem Thema allzu oft. Dabei ist es erstaunlich wie apologetisch und verständnisvoll man dem Täter gegenüber ist – nicht, dass man ihm verzeihen könnte, doch es gibt erstaunlich viel Denkarbeit ihm gegenüber. Die Frage wie der Vater wohl zwanzig Jahre später darüber denkt, versucht Stock ebenfalls zu beantworten. Es ist fast unglaublich, dass es ihm gelingt ihn ebenfalls zu interviewen. So viel Chuzpe hat man im Kino lange nicht gesehen.
Ob Stock mit diesem Film seinem Seelenfrieden näher gekommen ist, kann man nur vermuten.
Aber Postcard to Daddy ist auf jeden Fall ein wichtiges Dokument, dass sich dem "bloß nicht drüber reden" Tabu entzieht und sexuellen Missbrauch als das zeigt was er ist: die Zerstörung eines Menschen.